# 416
Auf leisen Sohlen
Frauke Wilken
Skulpturen und Gemälde
Ausstellung vom 31.Oktober 2024 bis 19. Januar 2025
„Frauke Wilken schafft mit ihren Skulpturen und Zeichnungen, die gleichermaßen kraftvoll wie fragil sind, eine eigene Welt der ständigen Metamorphose, des Fließens und Umkreisens, in der man sich nie mit letzter Sicherheit orientieren kann. Ihr geht es um eine Verständigung des Menschen mit sich selbst und mit der Natur, um die Notwendigkeit, die Natur in sich selbst zu erkennen. Allen Arbeiten ist gemeinsam, dass sie ein tastendes Sehen, ein dem strukturell ordnendem Sehen komplementäres schweifendes, umkreisendes, fühlendes Sehen erfordern. Bei aller Monumentalität vor allem in den installativen, raumbezogenen Arbeiten ist ihnen ein spielerisch leichter, manchmal ironischer, unaufdringlicher Klang zu eigen, der ihnen die Schwere und Mächtigkeit gleich wieder zu entziehen vermag. Frauke Wilken gelingt es auf eine unangestrengte Weise, Leiblichkeit als eine fundamentale Erfahrung zu thematisieren, sich einer schleichenden Entleerung der Welt von allem, was den Menschen als fühlendes Subjekt betreffen kann, entgegenzustellen. Unaufdringlich und deshalb umso größere Wirkung entfaltend.“
Sepp Hiekisch-Picard
(aus Katalog „under cover“, 2015, Kunstmuseum Bochum)
Eröffnung:
Do. 31. Okt. 2024, 18 Uhr
Einführung Dr. Olaf Mückain,
wissenschaftlicher Leiter der Museen der Stadt Worms
Fotos Ausstellungseröffnung © Gahmig
„Auf leisen Sohlen“ hat die Kölner Künstlerin Frauke Wilken den Kunstverein betreten in ihrer ersten Ausstellung in Speyer.Knapp 30 Arbeiten hat Wilken aus Köln mitgebracht. Dazu gehören große und mittlere Formate und Objekte, die ausschließlich aus Gewebe entstanden sind. Bilder, die bis zu neun Meter messen, hat sie vorsichtshalber zu Hause gelassen, würden sie doch den räumlichen Rahmen des Kunstvereins sprengen.
Das Bedürfnis der 59-Jährigen mit Wurzeln in Norddeutschland, die Kraft hinter der Oberfläche ihrer Kunst aus dem Bild oder der Skulptur heraus in den Raum zu leiten, wirkt auf den Betrachter. Der Blick weitet sich, tastet nach Einordnung und findet sie beispielsweise in zwei Bildern, mit denen Wilken „Große Turbulenzen“ erzeugt. Ungebändigtes Haar, sein Herausfließen, ordnen und flechten lässt Rückschlüsse auf Prägung und Herkunft der Trägerinnen zu. „Haare sind unsere zweite Hülle, Kleidung unsere zweite Haut“, erklärt Wilken ihren Zugang zu menschlichen Details.
Kraftvoll und gleichermaßen fragil fließt eindrucksvolle Kunst aus den Arbeiten der Künstlerin. Sie führt den Betrachter zu ihren Zeichen der Kultur, des Alters oder der Schicht, aus der ihre Bildausschnitte barocker Perücken oder der zugenähte „Scheitel“ mit herausquellenden Zöpfen entstanden sind. Nur ihr „Poser“ benötigt keine Haare, nicht einmal einen Kopf. Ihm genügen Muskeln und die Kraft, die sein Korpus aussendet.
Humorvoll, ironisch und ganz ernst begegnen Wilkens Arbeiten dem Betrachter. Ihren Teddybär aus mit Acryl befestigtem Webpelz will gestreichelt, geliebt werden lässt, was ihm unmittelbar gelingt, wenn er von allen Seiten umringt und dabei immer besser verstanden wird. „Der Gehörnte“ hingegen klebt gleich einem unglücklichen Hähnchen an der Wand.
Wilken präsentiert Arbeiten, die sie in den Nuller-Jahren bis vor wenigen Wochen geschaffen hat. „Ich will in Speyer eine gute Mischung ausstellen“, betont sie. Neu sind blaue Vertiefungen, die von Erdfarben aufgefangen werden. „Rendezvous“ heißt die monumentale Rauminstallation, die auf den ersten Blick vom schönen Schein erzählt. Bei näherem Hinsehen entdeckt der Betrachter indes im Geklebten und Genähten das Kaputte an der Szene, in der sich Menschen im Eigentlichen einander zuwenden. Der Kern ihrer Skulpturen besteht aus Holz, Styropor. Die Materialien umgeben Gewebe, die die Arbeiten zum Glänzen bringen, sie vervollständigen, ihnen die Wertigkeit verleihen, die Wilkens Kunst ausmacht. Eine Bildhauerin sei sie keinesfalls, weist die Künstlerin eventuelle Rückschlüsse dieser Art zurück. „Ich kann nichts wegnehmen, muss vielmehr stets addieren“, erklärt sie ihre Auseinandersetzung mit Körper und Raum.
Wilkens Studium Freier Kunst in Braunschweig und Barcelona findet sich in ihrer floralen Serie wieder, die Leiblichkeit auf der Grundlage von Rosen thematisiert. In ihrer Malerei verrate sie mehr vom großen Geheimnis menschlicher Abgründe und Herkünfte als mit der Skulptur, ist die Künstlerin überzeugt. Dennoch können auch in den Bildern sämtliche Assoziationen in jedem Moment der Betrachtung kippen, sich verändern, erneuern, auf leisen Sohlen grenzenlos fließen.
Ellen Kornelius-Bruder in der Rheinpfalz am 25.10.2025
Fotos @ Lauter