#391

Herbert Warmuth

FARBE AUS UND DURCH

Fahnenbilder und Plexiglasmalerei

Ausstellung vom 18.08. – 29. 09. 2019​

In den zusammengesetzten Bildern, die in ihrer farbspezifischen Aufteilung an Fahnen erinnern, thematisiert der Künstler unterschiedliche, konzeptuelle Vorstellungen von Malerei und kombiniert diese: Farbe als Material, deren sinnliche wie auch emotionale Wirkung, Malerei als Darstellung von Illusion, die Objekthaftigkeit des Bildes und dessen Beziehung zur Wand. Während sich hier oft Nähte sichtbar abzeichnen und der Stoff, mit Knitterspuren oder gar Flecken versehen, über die Bildfläche hinaus drapiert wird, durchbricht Warmuth in den jüngsten Werken den Bildträger. Hier ist das Plexiglas rückseitig in Schichten bemalt und Farbe dringt dann ganz materiell durch eingesägte Schlitze der glänzenden Oberfläche nach vorne und wirkt wie befreit.

Warmuths Praxis zielt darauf, Begrenzungen aufzubrechen, sowohl rein physisch als auch im übertragenen Sinne. Der Titel der Ausstellung ist Programm.

Herbert Warmuth studierte von 1982-1988 an der Städelschule, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Seine Arbeiten sind in verschiedenen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten.

Abb.: Katalog

Vernissage 
So., 18.08., 11 Uhr

Begrüßung:
Klaus Fresenius, Vorsitzender Kunstverein

Einführung:
Prof. Thomas Wagner, Autor und Kunstkritiker

   Fotos  © Horst Gahmig

Eröffnungsansprache von Prof. Thomas Wagner

„Abstrakt über Farbe nachzudenken, hat mir nie geholfen“

 – hat Frank Stella einmal bemerkt. Auch Herbert Warmuth zieht es vor, nicht losgelöst oder theoretisch über Farbe nachzudenken, er tut es bewusst als Maler und im Medium der Malerei selbst. „Farbe aus und durch“ – so hat er seine Ausstellung genannt. Und wer die Gemälde betrachtet, der sieht sofort: Hier wird anders mit Farbe und anders mit Malerei umgegangen, als man das erwarten würde. Anders, als es traditionell üblich war. Was aber ist heute in der Malerei noch üblich? „Farbe aus und durch“ – auf Warmuths Plexiglastafeln drängt die Farbe, quetscht sich durch, quillt heraus und hervor, gelangt hinaus. Farbe sucht sich einen Weg ins Offene, sie durchbricht die bemalte, hinter Plexiglas stillgestellte Fläche, erhebt sich pastos über den Malgrund und überschreitet, was sie offenbar gefangen hält. Was da hervortritt, zeigt: Farbe ist Material, ein Stoff, in dem Potenzial steckt, der vielfältig verwendet werden kann, der Möglichkeiten in sich birgt.
Es scheint, als könnten aus der hervortretenden Farbmasse viele, ganz unterschiedliche Bilder entstehen. Ja, es kommt es einem vor, als sehe man dabei zu, wie sich in diesen Farbadern etwas zu kräuseln beginnt, ohne dass sich entschieden hätte, was im nächsten Moment durch sie erscheinen wird, um sich womöglich im Bild zu entfalten, um zum Bild zu werden. Farbe zeigt sich gleichsam im Wartezustand, als ob einem ein Augenblick vor Augen trete, in dem etwas gerade erst beginnt, wirklich zu werden. Noch ist die Farbe nur sie selbst, noch dient sie keinem Gegenstand, den darzustellen sie hilft.
Einmal freigesetzt, könnte sie diverse Erscheinungsweisen ihrer selbst annehmen, in diversen Modi erprobt werden: Sie könnte sich zur Fläche weiten und allover ausbreiten. … 

Ausstellungsrundgang

»… die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug!« 

Richard Wagner, Parsifal

 

 

Sie drängt, quetscht sich durch, quillt hervor, gelangt hinaus. Farbe sucht sich einen Weg ins Offene. Unvermutet durchbricht sie die bemalte, hinter Plexiglas stillgestellte Fläche, erhebt sich über die Oberfläche und überschreitet die Dimension, die sie gefangen hält. Sie zeigt sich als Material, dessen Potenzial sich noch nicht entfaltet hat. Paradox gerinnt sie zu einem Ereignis, das darauf wartet, ausformuliert zu werden. Noch ist nichts entschieden, noch kann aus der hervortretenden Farbmasse alles Mögliche entstehen. Einmal freigesetzt, könnte sie diverse Erscheinungsweisen ihrer selbst erproben, sich allover zur Fläche weiten, als pastose Spur auftreten, Areale markieren oder Muster bilden. Ebenso gut aber könnte sie die Illusion eines Blicks auf die Welt erzeugen, eine Szene darstellen oder eine Landschaft formen. 

Auch bei den Fahnen-Bildern der letzten Jahre zerbricht die Einheit der Leinwand, wird das Verhältnis von Gegenstand und Abbild fraglich. Indem sich Farbstreifen, die in ihrem Auftreten auf Fahnen anspielen, verselbständigen, stellen die Bilder dieser Serie abermals die Frage, die der Kunsthistoriker Max Imdahl angesichts der »Flag« von Jasper aufgeworfen hat: »Is it a flag or is it a painting?« Versetzt zu einem neuen Ganzen zusammengefügt, überschreiten und hinterfragen die Fragmente variantenreich die flatness des Bildes: Die Oberfläche wird verletzt, sich öffnende Lücken und Spalten werden betont und treten aktiv hervor; farbiger oder bemalter Stoff überzieht – Falten werfend – eine Teilfläche oder arbeitet sich durch die Haut des Bildes hindurch, als hätte sich ein Stück Leinwand selbständig gemacht. Hier und da lappt ein Stück Stoff über, lässt das Bildgeviert deutlich zur Wand und zum Raum hin ausfransen, seine Integrität fraglich werden. Indem Warmuth das Auge fesselt, setzt er zugleich das Nachdenken darüber frei, was der Betrachter im Wahrgenommenen erkennt, wie er es interpretiert.

Selbst bei den Plexiglas-Arbeiten ist die Haut des Bildes nicht nur glatt gespannt. Erscheint sie auch versiegelt, so öffnet sie sich doch. Indem sich Raum und Betrachter in der Oberfläche spiegeln, entsteht die Illusion eines bewegten Bildes, das sich ständig wandelt und auf etwas außerhalb des Bildes verweist. Das Aufziehen der bearbeiteten Platte auf einen Rahmen verleiht den Tafeln zusätzlich räumliche Präsenz. Der Maler mag den Einsatz seiner Mittel noch so konsequent an einem Konzept ausrichten: Betrachter, Raum und Gewohnheit fügen dem Bild in der Wahrnehmung ein Plus X hinzu, das über sie hinausweist. Kontext und Imagination transzendieren die Mittel, die im Gegenzug eben dies dementieren. Beide negieren sich in ihrer Tendenz, lassen den Blick zwischen verschiedenen Wahrnehmungsmöglichkeiten oszillieren. 

Herbert Warmuths Malerei lotet aus, wie weit man mit der Malerei gehen kann, ohne die Malerei zu verlassen. Sie konfrontiert ein klares Konzept mit einem Faktor X, der es vollendet, indem er es umkreist, befragt, aufhebt, durchbricht, erweitert. Um das Idiom der Malerei über das Übliche hinaus zu ergründen, bedarf es eines Bruchs, eines Einschnitts, einer Ruptur. Um dem Idiom in seiner Gespaltenheit inne zu werden, muss die Wunde geöffnet und als solche markiert werden. Dabei erweist es sich als die besondere Spannkraft dieser Malerei, dass sie das permanent aus der Materialität ihrer Mittel und einer sich in ihrer Wahrnehmung unweigerlich aufdrängenden Illusion entstehende Paradox aushält und in seinen Facetten entfaltet. Es entsteht eine Malerei, die sich eine Wunde schlägt, die nur sie selbst heilen kann. 

Katalogtext: Thomas Wagner

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